Dieser Artikel ist eine wörtliche, unverfälschte Transkription des Originalartikels aus dem Jahre 1922.
Aus heutiger Sicht fragwürdige Ausdrucksweisen und Inhalte, sowie variierende Rechtschreibung sind nicht ausgeschlossen, wurden aber zwecks Authentizität nicht zensiert.
Kientopp – Flimmerkiste! Die breite Masse hat ihm diese Spottnamen mit ihrem derben Witz angehängt, und ehrliche Eiferer haben in spaltenlangen Abhandlungen ihr Verdammungsurteil der Welt gepredigt. Aber seiner Herrschaft hat das keinen Abbruch getan. Und das ist kein Wunder! Ein uralter Traum der Menschheit – die flüchtige Bewegung für die Dauer getreu festzuhalten – ist im Kinematographen verwirklicht, und was ihm heute noch mit Recht vorgeworfen wird, das geht ausschließlich zu Lasten jener Unausrottbaren, die sich aus der Befriedigung der Masseninstinkte zu bereichern suchen. Kaum jemals ist eine der großartigsten Erfindungen so übel von der Spekulationssucht mißbraucht worden wie das Kino. Höchst bescheidener Herkunft waren seine Vorfahren: der Kreisel und die Laterne, auch Ölfunzel genannt. Aber als es erst aus den Kinderschuhen war, haben ihm zwei wichtige Faktoren – Licht und Bewegung – die Bewunderung der Menge verschafft.
Die Laternen des Mittelalters hatten Scheiben aus dünngeschabtem Horn, die man später nach der kunstfrohen Art jener Zeit mit Relieffschnitzereien verzierte. Natürlich warfen solche dickeren Stellen entsprechende Schatten an die Wand, und schon frühzeitig benutzten findig-windige Gesellen diese Tatsache, um abergläublischen Leuten buchstäblich den Teufel an die Wand zu zaubern, wie eine Handschrift aus dem Jahre 1420 (Abb. 1) beweiste. Der Neapolitaner Giambattista della Porta (1538-1615) war der erste, der die wahrscheinlich schon mit einer Linse versehene „Zauberlaterne“ dazu anwendete, Naturobjekte und auch Zeichnungen, sogar bewegliche, einem größeren Zuschauerkreis vorzuführen (Projektione). Immer weitere Verbesserungen wurden an ihr angebracht, so von dem bekannten Athanasius Kircher (1646) der neben den auf die Linse gemalten Bildern (Schattenbildern) auch farbige Bilder auf besonderen Glasplatten verwendete, die Sonne als Lichtquelle benutzte und sogar lebende Objekte (Fliegen) in starker Vergrößerung vorführte (Abb. 2).
Der dänische Mathemathiker Thomas Walgensten (1665) gab schon „Reisevorstellungen“ mit der Zauberlaterne; um diesselbe Zeit projizierte der Augsburger Uhrmacher Topfler eine Uhr mit Ziffernblatt. Später lernte man, die Bilder ineinander übergehen zu lassen, indem man abwechselnd zwei Laternen verwendete; diese „Nebelbilder“ bildeten bekanntlich bis zum Aufkommen des Kinos eine der beliebtesten Voöksbelustigungen. Weitere Verbesserungen waren das Megaskop für undurchsichttige Bilder (1802 von Charles) und das Skioptikon (1872 von L. Marey), bis endlich diese „Projektionsapparate“ in dem heutigen Epidiaskop der Firma Zeiß ihre höchste Vollendung erreichten.
Doch die Bewegung fehlte diesen Nebelbildern noch lange. Zwar zeigte schon Walgensten sich drehende Bilder (Windmühlflügel und anderes mehr) und B. H. Ehrenberger aus Hildburghausen (1713) hin und her gehende Bewegungen (Schmied mit Hammer, schaukelnde Knaben). Später ließen die Brüder Enslen lebende Personen auf ihrer Lichtbühne erscheinen, indem sie das Bild der abseits gespielten Handlung mittels Hohlspiegeln zur Linse der Projektionslaterne warfen, und um 1797 narrte der „Zauberer“ Robertson ganz Paris mehrere Jahre lang mit seinen Geistererscheinungen (Abb. 3) in einer Weise, daß die Berichte über ihre Wirkung auf die Zuschauer in den Zeitungen jener Tage höchst schaurig zu lesen sind. Aber Bewegung inm kinematographischen Sinne war alles das noch nicht. Die Befruchtung kam der „Wandelbilderkunst“erst um die Mitte des vorigen Jahrhunderts von einer Seite, die letzten Endes auf den Kreisel zurückführt.
Schon in grauer Vorzeit müssen spinnende Frauen bemerkt haben, daß ein schwarzer Fleck auf der Spindel beim raschen Umdrehen derselben sich zu einem grauen Kreis gestaltet. Die Ursache ist die, daß der Eindruck einer Lichtwirkung nach ihrem Aufhören noch ein Weilchen - durchschnittlich 1/15 Sekunde – im Auge nachdauert. Aus dem gleichen Grunde vereinigen sich die Speichen eines rasch gedrehten Rades für das Auge zu einer Scheibe und anderes mehr. Aber viele Jahrhunderte lang wußte man mit dieser Erscheinung, die schon Ptolemäos (130 n. Chr.) in seiner „Optik“ und später Alhazen, Leonardo da Vinci, Newton, Boyle und andere beschrieben, nichts weiter anzufangen. Erst 1760 erwähnt der holländische Gelehrte Pieter van Muschenbroek den Farbenkreisel, der noch heute als Kinderspielzeug beliebt ist. Aber immer noch handelte sich hierbei bloß um das Fortrücken (Ortsverlegung) des gleichen Lichteindruckes. Die Verschmelzung zweier verschiedener Bilder zu einem einheitlichen lehrte erst 1825 Fitton in Londonmit seiner Wunderscheibe (Thaumatrop). Bindet man an ein Papptäfelchen beiderseits einen Faden, so daß man die Scheibe um diese Achse schnell drehen kann, und ist auf ihre eine Fläche ein Käfig, auf die andere ein Vogelgemalt, so scheint beim herumwirbeln der Vogel im Käfig zu sitzen. Durch den raschen Wechsel vereinigen sich die beiden Zeichnungen zu einem einheitlichen Bild.
Den ersten wichtigen Schritt in der Richtung zum Kinematographen tat um 1829 der Brüsseler Physiker Plateau mit seinem Phänakistoskop (Anorthoskop, Abb. 4). Auf dem Umfang einer Scheibe brachte er Zeichnungen von Lebewesen an, die sich in verschiedenen Zuständen (Phasen) einer fortlaufenden Bewegung befinden. Versetzt man diese Scheibe in rasche Umdrehung und betrachtet die Bilder durch einen schmalen Schlitze einer gegenüber auf der selben Achse sitzenden, sich ebenfalls drehenden Scheibe, so scheinen die Figuren eine zusammenhängende Bewegung auszuführen. Von der einen Figur haftet nämlich der Eindruch noch im Auge, wenn bereits die durch den zweiten Spalt gesehene Figur an ihre Stelle tritt, und so verschmelzen die Phasenbilder zum Eindruck einer fortlaufenden Bewegung. 1832 lehrten Simon Stampfer und Matthias Trentfensky in Wien mit einer einzigen Scheibe auszukommen, indem sie die Schlitze unterhalb der Figuren anbrachten und diese durch die Schlitze in einem Spiegel betrachteten. Sie erhielten auch auf diese stroboskopische (zootropische) Scheibe (Wunderscheibe, Phantoskop) ein österreichisches Patent, das ihnen aber in Preußen versagt wurde. Im folgenden Jahre gab Horner diesem Stroboskop die Form der Wundertrommel (Zoetrop, Dädaleum, Abb. 5) die der Optiker King in Bristol bekannt machte. Hier sind die Schlitze in der Wand eines drehbaren Zylinders angebracht, und die Bildstreifen werden unter ihnen eingelegt. Die Betrachtung kann also gleichzeitig durch mehrere Personen erfolegn. Wir kommen auf diese hübsche und lehrreiche Vorrichtung später noch einmal zurück.
Die dunklen Flächen zwischen den Schlitzen schwächen nun begreiflicherweise erheblich die Lichtstärke der Bilder und beeinträchtigen dadurch die Klarheit und Deutlischkeit der zeichnung. Auch das im Kino oft übel bemerkte Flimmern ist hier schon als Folge der harten Übergänge von Licht zum Schatten zu beobachten. Um diesen Mängeln abzuhelfen, stellte Reynaud in die Mitte der Trommel so vielkleine Spiegel, als Figuren auf dem Bildstreifen sind, und ließ die Spiegelbilder betrachten, am wirksamsten durch einen bühnenartigen Vorbau (Abb. 6). Ja, indem man eine zweckmäßig abgeänderte Laterna Magika mit zwei Objektiven zu Hilfe nahm, von denen das eine den ruhigen Hintergrund, das andere die beweglichen Figuren an die Bildwand warf (Abb. 7), gelang es sogar, eine stark kinoähnliche Wirkung zu erzielen; nur führten seine Figuren natürlich fortlaufend dieselbe Bewegung aus.
Aber alle diese Bilder waren noch Schöpfungen von Zeichnern oder Malern. Die getreue Festhaltung und Wiedergabe von natürlichen Bewegungen konnte erst gelingen, als die Photographie erfunden (1839) und auf eine solche Höhe gebracht war, daß sie die Herstellung kürzester Aufnahmen (Momentbilder) ermöglichte, also etwa seit 1870. Der erste, der diese Möglichkeit für wissenschaftliche Zwecke ausnützte, war der Pariser Astrophysiker Pierre Janssen, der mit einem von ihm ersonnenen „photographischen Revolver“ im Jahre 1874 den Vorübergang der Venus vor der Sonne in 192 Momentaufnahmen festhielt. Er verwendete dabei auch schon das Maltheserkreuz, das die fortlufend gleichmäßige Bewegung der lichtempfindlichen Platte in eine ruckweise verwandelt und noch heute ein wichtiger Teil des Kinematographen ist. 1877 machte der reiche kalifornische Züchter Muybridge die ersten Reihenaufnahmen von Pferden, indem er sie an zwölf bis dreißig nebeneinander aufgestellten photographischen Apparaten vorbeigaloppieren ließ und die Verschlüsse derselben auf elektrischem Weg auslöste. Die Aufnahmen (Abb. 8) waren wegen der ungenügenden Empfindlichkeit der Platten noch reine Schattenbilder.
Als der Vater der modernen Kinematographie ist wohl Marey, Professor am Collége de France in Paris, anzusehen, der sich das Studium der Bewegungen zur Lebensaufgabe gemacht hatte und mit seinem verdienstvollen Gehilfen Demeny die ganze Frage in so gründlicher Weise bearbeitete und förderte, daß die letzten Erfinder, Edison und die Brüder Lumiére, sozusagen nur noch den Rahm abzuschöpfen brauchten.
Durch Muybridge angeregt, baute Marey, der schon vorher ein Werk über „Die tierische Maschine“ veröffentlicht hatte, nach Janssens Vorbild eine photographische Flinte (Abb. 9), mit der er in einer Sekunde zwölf Aufnahmen von je einer Siebenhundertszwanzigstelsekunde Belichtungszeit erzielte. Er verwendete sie besonders zum Studium von Flugbewegungen, das er später mit anderen Apparaten auf laufende, kriechende (Abb. 10) und auch Seetiere ausdehnte. Leider reicht der Raum hier nicht zu, alle Einelheiten seiner hochinteressanten Arbeiten zu beschreiben. Es sei nur erwähnt, daß er die rotierende Platte bald wieder verließ und eine stehende verwendete, vor der sechs Objektive eingebaut waren, deren Verschlüsse rasch nacheinander ausgelöst wurden. Da aber jede dieser Aufnahmen eine andere Perspektive zeigte, baute der Oberst Sebert diesen „Chronophotographen“ in der Weise um, daß er an einer umlaufenden, durch Gewicht bewegten Scheibe sechs Kameras (Abb. 11) befestigte, deren Verschluß beim Erreichen der höchsten Stellung ausgelöst wurde. Mit diesem Apparat machte man in den Werkstätten des Zentrallaboratoriums der französischen Marine sehr erfolgreiche Studien über die Bahn des abgeschlossenen Torpedos. Marey selbst verzichtete schließlich ganz auf die unhandliche Platte und verwendete ein fortlaufendes Band von lichtempfindlichem Papier. Dieser „Photochronograph“ vom Jahre 1888 (Abb. 12) zeigte bereits alle wesentlichen Teile des heutigen Kinoaufnahmeapparates. Hinter dem Objektiv dreht sich rasch eine Scheibe mit einem Ausschnitt, die den Lichtstrahlen sechszehnmal in der Sekunde den Durchgang freigibt. Gleichzeitig wird hinten an der Kameraöffnung das lichtempfindliche Papierband von der Rolle links zur Rolle rechts gezogen, mit der Einschränkung jedoch, daß es jedesmal festgeklemmt wird, solange der Ausschnitt der rotierenden Blende die Belichtung gestattet.
Fast zur selben Zeit wurden die biegsamen Filme aus Zelluloid bekannt, und nun bemächtigten sich geschickte Konstrukteure der Sache. Edison kam auf den Gedanken, Bilder ebenso in einer Spirallinie aufzuzeichnen, wie die Töne in seinem Phonographen, und 1893 zeigte er seinen „Kinetographen“, der bereits am Rande elochte (perforierte) Filme aufwies, welche genaue Fortschaltung derselben gewährleisten und noch heute üblich sind; der Apparat gestattete aber nur subjektive (Einzel-) Betrachtung. Unabhängig von ihm arbeiteten die Brüder Lumière, die 1895 den „Kinematographen“ in seiner jetzigen Gestalt auf den Markt brachten. Sie ordneten die Filmspulen oberhalb und unterhalb des Objektivs, beziehungsweise hintereinander an und verringerten die Bildgröße auf die heute noch übliche von 25:18,6 Millimeter.
Die auf die beschriebene Weise von Janssen, Muybridge, Marey und anderen gewonnenen Reihenbilder wurden anfänglich im Zoetrop oder Praxinoskop betrachtet, welch letzteres man auch für die Projektion umbaute, ähnlich wie auf Abb.7 angegeben. Ottomar Anschütz, der bekannte Erfinder des Schlitzverschlusses, zeigte seine prachtvollen Tierbilder mit seinem Elektrotachyskop (Schnellseher, Abb. 13) in der Weise, daß er sie an dem Ausschnitt einer Wand vorbeiführte und hinter ihnen jedesmal im richtigen Augenblick eine Geißlersche Röhre aufleuchten ließ. Für den Hausgebrauch war das Photoskop (Abb. 14) bestimmt, bestehend aus einer langsam umlaufenden Scheibe, die am Rande vierzig Reihenbilder trug, und einer davor vierzigmal so rasch kreisende Blende mit Ausschnitt. Da also am Durchguckloch der Ausschnitt jedesmal mit dem nächsten Bild zusammentraf, ergab sich beim Betrachten der Eindruck des Lebendigen. Mit einer Laterna magika verbunden, konnte man es auch zur Projektion verwenden. Sein lächerlicher Name (Sprechseher) rührte davon her, daß man die Personen während der Aufnahme irgend einen Satz sprechen ließ.
Alle diese Apparate gestatteten aber wieder nur die Vorführung von Bilderserien, die sich sozusagen im Kreislauf abspielten. Auch hier ermöglichte erst der Filmstreifen fortlaufende (endlose) Handlungen zu zeigen. Der heutige Kinoprojektor (Abb. 15) ist nach den gleichen Grundsätzen wie der Aufnahmeapparat gebaut. Von der oberen Trommel läuft das Filmband zur unteren. Vo hinten wird es durch eine starke Lichtquelle bestrahlt, und ein Objektiv wirft die Bilder stark vergrößert auf die Bildwand. Ein Malthesergetriebe sorgt für ruckweise Fortbewegung der Filmstreifen, und eine Sektorenblende verdunkelt das Bildfenster während der Fortschaltung des Films, da sonst die Bilder ineinander schwimmen würden.
Wir erwähnten bereitsa das durch den raschen Wechsel von Hell und Dunkel hervorgerufene Flimmern, das besonders im Anfang bei Kinovorführungen sehr ermüdend auf die Augen wirkte. Eines der Mittel, es zu verhindern, sah man in der Anwendung von Spiegeln satt den Blenden, wie beim Praxinoskop. Aus dieser Überlegung ging das Alethorama (Abb. 16) hervor, dessen wesentlicher Teil ein doppeltes, mit zahlreichen Spiegeln belegtes Kegelrad ist. Den Weg der Strahlen vom Kondensor (Sammler) der Lichtquelle durch das Filmband, dann über die beiden Spiegeltrommeln zum Objektiv zeigt die punktierte weiße Linie der Abb. 17. Auf dieses Verfahren, das auch die gleichmäßige Fortbewegung des Films bei Weglassung der Blende gestattet, wurden in den letzten Jahren wieder viele Patente nachgesucht. Dagegen hat sich ein anderer Weg, die Bilder durch eine große Zahl rotierender Objektive nacheinander ins Bildfeld zu bringen (Kino nach Jenkins, 1898) als zu kostspielig und schwerfällig erwiesen. Andererseits hat man auch allerlei Apparate ersonnen, welche das Betrachten der Bilder nur für eine Person in der Auf- oder Durchsicht gestatten. Der bekannteste davon war das als Automat für Geldeinwurf ausgebaute Mutoskop (Abb. 18), bei dem die (Papier-)Bilder rings um eine sich drehende Achse saßen und durch Greifer einzeln abgeblättert wurden.
Daran ist indes festzuhalten: solange der Film nicht durch die Verbindung von innerem Wert und künstlerischer Gestaltung auch tiefere Gemütswirkungen auszulösen vermag, herrscht er nur durch rein äußere Mittel. Durch seine bildmäßige Wirkung überhebt er den Durschnittsmenschen der Notwendigkeit der gedanklichen Verarbeitung des geschauten, die ihm das gesprochene oder gedruckte Wort auferlegt. Nicht mit Unrecht hat daher ein ernster Warner behauptet, das Kino ziehe ein ganz neues Geschlecht heran, das nur auf äußere Eindrücke, auf kräftige Impulse reagiert, dadurch am Gemüt verkümmert und sich des Denkens womöglich völlig entschlägt. Wissen sich doch selbst urteilsreife Männer, wenn sie sich einmal halb wider Willen in den Bann des Kinos schlagen ließen, nachher kaum Rechenschaft zu geben, was eigentlich in der Hauptsache sie fesselte. Nur die Bewegung ist es, genau wie der Kreisel durch sein Tanzen und Tollen das Kind bezaubert!
Vor den Werken der bildenden Kunst hat der Film die Bewegung voraus. Aber wohlgemerkt: nicht um wirkliche Bewegung handelt es sich, sondern nur um vorgetäuschte, hervorgerufen durch Veränderungen der Lage oder der Größe. Indem ein kleiner Mann auf der Leinwand immer größer wird, scheint er auf uns zuzulaufen, bis er förmlich aus dem Bildrahmen auf uns herausspringt; ein von Bild zu Bild zusehends kleiner werdendes Auto erweckt den Eindruck, als ob es in der Ferne verschwände; weichen auf der Kinoleinwand die Einzelheiten im Vordergrund der Landschaft beiderseits kulissenartig auseinander und erscheint auf jedem folgenden Bild das Fernere näher gerückt, so glaubt man selbst sich in der Landschaft zu befinden und in sie hinein zu gehen oder zu fahren. Je schneller, überraschender und vielgestaltiger dieser Wechsel von Größe und Lage sich abspielt, desto mehr werden die Augen beschäftigt, und es ruht die Denktätigkeit. Wenig bewegte Szenen empfindet der Zuschauer als leer und unerquicklich, wenn ihn nicht ein besonders gutes Spiel des Schauspielers fesselt. Über die Leere täuscht ihn auch die Begleitmusik hinweg, die gleichzeitig das unangenehme Geräusch des Vorführapparates übertönen soll. Vorgänge, in denen es recht stürmisch und derb zugeht (Verfolgen, Waserspritzen, Ringen, Würgen und dergleichen) wirken allein durch die scheinbare Bewegung, auch wenn nur zwei oder drei Personen dabei auftreten, während Landschaftsaufnahmen und selbst Massenszenen bald eintönig wirken, wenn darin nicht Wagen, Radfahrer, Automobile, Pferde, Tänzer oder anderes, das die Aufmerksamkeit stark auf sich zieht, vorkommen oder dem Zuschauer suggeriert wird, daß er sich selber bewegt, wie beispielsweise bei den bekannten Fahrten durch schöne Gegenden, wo er auf der Lokomotive oder dem Trittbrett des letzten Wagens zu stehen meint. Auch beim sogenannten Trickfilm ist die schnelle Bewegung (im ild oder in den Gedankengängen) die Hauptsache: das Unvermittelte, das scheinbare Ausschalten der Schwerkraft und der Zeit (Aufblühende Blumen, emporwachsende Skulpturen), die Zusammenstöße, das Abstürzen, das plötzliche Hereinflitzen übernatürlicher Erscheinungen, der Gegensatz der Größenverhältnisse oder die rückläufigen (umgekehrt abgespielten) Geschehnisse.
Aus dem Vorstehenden erklärt es sich auch, warum das Kino, dessen Hauptstärke in der schnellen Aufeinanderfolge von Bildern liegt, jetzt beim Ausstattungsfilm gelandet ist, in derselben Zeit, da das Theater sich bewußt von der Meiningerei frei zu machen sucht, um das gesprochene Wort als Träger von Gedanken, unverkümmert durch Nebensächliches, zur höchsten Geltung zu bringen. Das viele Drum und Dran dient und genügt durchaus, die Schaulust der großen, denkunwilligen Menge hinreichend zu befriedigen.
Aber der Wissenschaft konnte dieser „Kientopp“ nicht genügen, denn sie wollte vorzüglich solche Bewegungen studieren, die mit der größten Geschwindigkeit vor sich gehen. Dieses „Zeitlupe“ genannte Verfahren spielt sich folgendermaßen ab: Man macht von einem Bewegungsvorgang, zum Beispiel von einem auffalenden Wassertropfen (Abb. 19), fünfhundert oder tausend Aufnahmen in der Sekunde. Die so erzielten Bilder kann man nun einzeln betrachten oder auch langsam im Zusammenhang, indem man sie im gewöhnlichen Kino (sechzehn Bilder pro Sekunde) ablaufen lässt. Ein ruckweises Fortschalten mit einer Frequenz (Bildwechsel) von hundert in der Sekunde würde aber das Filmband unfehlbar zerreißen. Man ließ daher den Film gleichmäßig ablaufen und benützte die Aufnahmeapparate mit rotierenden Linsensystemen (Jenkins und Maskelyne) oder mit Spiegel-, beziehungsweise Prismentrommeln (Musker und andere), mit denen man bis zweihundertfünfzig Aufnahmen in der Sekunde erreichte. Soll die Aufnahmefrequenz noch größer sein, wie es bei Insekten- und Geschoßaufnahmen erforderlich ist, so muss man die Frequenz in die Lichtquelle verlegen. Als solche eignet sich die außerordentlich helle Entladung des elektrischen Funkens, die nur den Zwanzigmillionsten Teil einer Sekunde dauert. Demgegenüber ist die Bewegung auch des noch so schnell bewegten Films fast Null, und so ergeben sich außerordentlich scharfe Aufnahmen. Diesen Weg wies Professor Mach in Wien; der Nachfolger Mareys, Lucien Bull, vervollkommnete ihn so, daß er bis zu zweitausend Aufnahmen in der Sekunde erzielte. Noch erheblich weiter kam Professor Trantz in Berlin (hunderttausend in der Sekunde). Was solche Aufnahmen entschleiern, zeigt unsere Abb. 20. Wir sehen sowohl die vor dem dahinsausenden Geschoß verdichtete Luftwelle wie die Luftwirbel und Wölkchen im Schußkanal.
Zum Schluß sei noch einmal die Wundertrommel erwähnt. Sie ist ein so unterhaltendes und zugleich lehrreiches Spielzeug, daß Sie eigentlich jeder Hausvater für seine Kinder anfertigen sollte. Da man die dazu gehörigen Bilder in jedem Spielwarenladen fertig kaufen kann, geben wir unserem Apparat gleich die dafür, und zwar für die größeren Bilder, passenden Maße. Wie der Durchschnitt auf Abb. 5 zeigt, brauchen wir eine große und eine kleine Garnrolle, ein Fußbrett und einen beiderseits zugespitzten Nagel, der als Drehachse dient. In die kleinere Garnrolle ist oben ein Metallstück einzutreiben, das unterseits eine kleine Vertiefung als Lager für die Nagelspietze aufweist. Das Bodenbrett für die Trommel wird mit 27,3 Zentimeter Durchmesser aus einem Kustendeckel gesägt. Die Trommelwand ist ein Pappstreifen von 86 Zentimeter Länge und 21 Zentimeter Breite, der an das Bodenbrett geleimt oder genagelt wird. Vorher sind in seiner oberen Hälfte in genau gleichmäßigen Abständen zwölf Schlitze von drei bis vier Millimeter Breite einzuschneiden, durch die man die eingelegten Bildstreifen betrachtet. Mann kann aber auch solche Streifen selbst herstellen, indem man irgend einen geschlossenen Vorgang in zwölf Phasen zerlegt, wie es unsere Abb. 21 erläutert. Wir sehen da ein umlaufendes Rad, ein schwingendes Pendel, eine hinter einem Pfahl vorbeigleitende Scheibe und einen von einem Schläger fortgeschleuderten Ball in zwölf Einzelbildern, die je um einen kurzen Bewegungsfortgang voneinander abweichen. Auch kann man diese Bilder auf den Rand einer runden Scheibe zeichnen und diese auf den Boden der Trommel leben.
Bringt man nun aber statt der einfachen Schlitzreihe eine dreifache mit je 1 Zentimeter Zwischenraum übereinander an, und zwar oben dreizehn Schlitze von 20:3 Millimeter Größe, in der Mitte zwölf, unten elf (stets in unter sich gleichmäßigen Abständen), so kann man die seltsame Erscheinung studieren, die oft im Kino so störend wirkt, nämlcih daß sich die Räder eines vorwärts fahrenden Wagens rückwärts drehen oder ganz still stehen. Der Grund ist folgender: Der Aufnahmeapparat des Kinos macht in der Sekunde sechzehn Aufnahmen. Hat nun das Rad sechzehn Speichen und läuft es ebenfalls in der Sekunde einmal um, so ist bei jeder folgenden Aufnahme die nächste Speiche genau an die Stelle der vorhergehenden gelangt, und das Rad scheint stillzustehen. Ist die nächste Speiche bloß bis dicht an ihre Vorgängerin herangerückt, so scheint das Rad rückwärts zu laufen, und nur wenn die Speiche ein wenig über die Stellung der vorhergehenden hinausgekommen ist, ergibt sich auch der Eindruck der natürlichen, vorwärts rollenden Bewegung. Betrachten wir also durch die mittlere Reihe unserer Wundertrommel die Schlitze der gegenüberliegenden Seite, so scheint die obere sich nach rechts, die untere nach links zu bewegen, während die mittlere stillsteht. Durch die obere Schlitzreihe gesehen, läuft die mittlere langsam, die untere schneller nach links, während die obere still steht; und bei den elf Schlitzen ergibt sich das umgekehrte Bild. Indesm wir also unsere selbstgezeichneten Bildstreifen entsprechend einrichten (Bilderzahl elf oder dreizehn statt zwölf, können wir unseren Kindern ganz überraschende Dinge zum besten geben.
Ein kleiner Scherz! Man schneidet vierzig bis fünfzig Blättchen von 5:4 Zentimeter, bezeichnet mittels Durchstechens auf ihnen drei Punkte und benützt die beiden links als heftlöcher, um ein Büchelchen daraus zu machen. Im dritten setzt man den Zirkel ein und zeichnet nun auf jedem Blättchen einen immer größer werdenden Kreis, den man noch mit einem Gesicht ausstatten kann, sowie einen auf allen Blättern gleichen landschaftlichen Hintergrund (Abb. 22). Beim raschen Abblättern scheint nun das Gesicht nach vorn zu laufen, ein deutlischer Beweis, daß das Kino Bewegung nur vortäuscht, denn der kleinste Kreis liegt ja oben, der größte unten im Büchlein; trotzdem scheint der Kreis nach vorn gerückt zu sein.