Dieser Artikel ist eine wörtliche, unverfälschte Transkription des Originalartikels aus dem Jahre 1902.
Aus heutiger Sicht fragwürdige Ausdrucksweisen und Inhalte, sowie variierende Rechtschreibung sind nicht ausgeschlossen, wurden aber zwecks Authentizität nicht zensiert.
In unseren Tagen ist eine Kunst wieder beliebt geworden, die zur Zeit unserer Urgroßeltern allgemein verbreitet war. Das sind die Silhouettenbilder oder Scherenschnitte, wie man sie auch genannt hat. Fast jeder hat wohl schon die entzückenden Silhouetten „Durch Rauhes zu den Sternen“ und „Göttliche Jugend“ von Fidus, dem Schüler Dieffenbachs, und Arbeiten vieler anderer moderner Scherenschnittkünstler gesehen. Nun erfordert es zweifellos schon große Geschicklichkeit, aus dünnem, schwarzen Papier so zierliche und anmutige Figuren, Tiere und Landschaften zu schneiden. Aber das an Gestalten vielfältige Scherenschnittbild scheint ein Kinderspiel, verglichen mit der Leistung jener Künstler, die Scherenschnitte für den Film anfertigen. Wohl werden auch für diese Zecke auch nur Figuren, Bäume, Pflanzen und Architekturen ausgeschnitten. Wenn jedoch ein Silhouettenkünstler seine Motive einmal ausgeschnitten hat , so braucht er sie nur auf weißes Papier zu kleben, und das anmutige Kunstwerk ist fertig. Wer aber einen Silhouettenfilm herstellt, bei dem fangt nun die eigentliche Arbeit an; denn er muß ja die einzelnen Figuren beweglich machen.
Der neueste und einzigartigste Silhouettenfilm ist von der „Ufa“ unter dem Titel „Die Geschichte des Prinzen Achmed“ herausgebracht worden. In dreijähriger mühevoller Arbeit ist dieser Film hergestellt worden und läuft ab jetzt in einer knappen Stunde vor dem Zuschauer ab.
Prinz Achmed ist eine Märchenfigur aus „Tausend und eine Nacht“. Es genügte nicht, ihm nur ein Filmmanuskript auf den Leib zu schreiben und einen der Statur verwandten Schauspieler mit der Durchführung der Rolle zu beauftragen; Prinz Achmed mußte zunächst gezeichnet werden, und auf Grund dieser Zeichnung wurde dann eine Silhouette geschnitten. Dann wurde die Figur aus Draht, Pappe und dünngewalztem Blei so gebaut, daß sie alle einzelnen Stellungen im Schattenspiel beweglich und überzeugend ausführen konnte. Die Gestalt zerlegte man in Kopf, Hals, Schultern,Brust, Bauche, Hüften, Beine, Ober- und Unterarm, Knie, Hände, Füße. Dann wurde alles mit Scharnieren zusammengefügt, eingehämmert und gewalzt, bis endlich eine brauchbare Filmschattenfigur entstanden war. Nun beschaffte man große Mengen Pauspapier, um die Umwelt zu gestalten, in der Achmeds Erlebnisse vor sich gehen sollten. So häufte sich Dekoration auf Dekoration; Schlösser, Wolken, Wälder, Meere, Landschaften und Zauberhöhlen entstanden. Prinz Achmed mußte je nach Bedarf in zwanzig verschiedenen Größen hergestellt werden. Erst als alles so weit vorbereitet war, konnte man darangehen, die Aufnahmen zu machen.
Dazu wurde die Figur auf eine Glasplatte gelegt und von unten her so beleuchtet, daß all das Scharnierwerk nicht mehr zu sehen war, und daß sie als freibewegliche Gestalt in ihrer gleichfalls durch Unterbeleuchtung in Erscheinung tretenden Umgebung auftrat. Nachdem alles so weit gediehen war, konnte man den kinematographischen Aufnahmeapparat in Tätigkeit setzen. Un mußte Achmed, der ja nur eine bewegliche lache Figur war, für den Film „lebendig“ gemacht werden. Man rückte seine Glieder Bild für Bild immer dahin, wo sie sein mußten, und photographierte jede einzelne Phase der winzigen Bewegungen. Man gab ihm Freunde und Feinde, die mit und gegen ihn spielten.Auch die Naturumgebung durfte nicht ganz leblos bleiben. Während eine Person den Prinz Achmed, der auf dem Pferd rot, langsam über die Glasplatte schob, mußte die zweite Person die auf eine andere Glasplatte gemalten Blitze aufflammen lassen.
Mit reflektiertem Licht wurden Rauchwolken und Feuerflammen erzeugt, mit kunstvoll geschnittenen Pauspapieren ein Seesturm vorgetäuscht, Zaubererscheinungen der mannigfaltigsten Art mußten ersonnen und mit großer Geduld aufgenommen werden. Aber auch zahlreiche andere Figuren, in der gleichen Weise wie Prinz Achmed geschnitten und lebendig gestaltet, entstanden. Manchmal sind es fünfzig Figürchen, die gleichzeitig in einer Szene zu spielen haben. Wie langwierig die Arbeiten waren, ergibt sich aus folgendem: Für einen Bildstreifen, der vor den Augen des Zuschauers etwa zwei Sekunden vorüberrollt, sind zweiundfünfzig Einzelaufnahmen nötig gewesen. Im ganzen wurden so zweihundertfünfzigtausend Einzelbildchen aufgenommen, von denen schließlich rund hunderttausend für den Film Verwendung fanden.
Ähnlich geht die Herstellung der sogenannten Zeichentrickfilme vor sich. Als Vorläufer dieser Filmart könnte man die allen bekannten Zeichnungen von Wilhelm Busch nennen. Sieht man diese Zeichnungen genauer an, so finden wir in vielen Fällen zwei oder mehrere Bildchen hintereinander, bei denen sich die gleichen Personen und derselbe Hintergrund finden. Die einzelnen Bilder unterscheiden sich nur dadurch voneinander, daß auf jedem Bild eine andere Bewegungsphase zu sehen ist als auf dem vorausgehenden.
Stellt man sich nun vor, daß zwischen zwei zusammenhängenden Buschbildern alle einzelnen Bewegungsphasen zu sehen wären, die notwendig sind, um die Situation des ersten Bildes bis zur Situation des zweiten Bildes zu entwickeln, dann hat man die Voraussetzungen, wie sie für den Zeichentrickfilm nötig sind. Der Zeichner eines solchen Films zeichnet zuerst ein Bildchen, das am Ausgangspunkt der Handlung steht. Dann berechnet er, wie weit im Verlauf einer Sekunde sich die einzelnen Figuren bewegen könnten, damit nach einer weiteren Sekunde die zweite Bewegungsphase erreicht ist. Ist dies geschehen, dann wird das zweite Bild gezeichnet. Damit nachher im Film die Bewegung nicht zu ruckartig, sondern natürlich fließend erscheint, müssen für die einzelnen Bewegungsmomente von Bild eins bis Bild zwei sechzehn verschiedene Bildchen angefertigt werden.
Ist nun diese Reihe von Zeichnungen für den Bewegungsgang einer Sekunde fertig, dann beginnt die Arbeit am sogenannten Tricktisch. Das ist eine große Tischplatte, auf der die Zeichnungen befestigt werden; rechts und links darüber befinden sich in zwei schrägen Holzkästen helle Lampen, um die Zeichnungen zu beleuchten.
Darüber hängt die Filmkamera, mit der jede einzelne Zeichnung auf ein Filmbildchen photographiert wird. Zeichnung für Zeichnung muß nacheinander auf diesen Tricktisch gelegt und einzeln photographiert werden; für jeden einzelnen Bewegungsvorgang, der sich innerhalb einer Sekunde abspielen soll, sind sechzehn verschiedene Vorlagen nötig. Nun mache man sich einmal klar, daß für einen Film, der nur zehn Minuten im Kino vor unseren Augen abrollt, rund zehntausend einzelne Aufnahmen nötig sind.
Ein Trickkünstler muß also nicht nur rechnen, sondern es gehört auch zeichnerisches Geschick dazu, wenn die einzelnen Zeichnungen genau übereinstimmen sollen; nur in winzig kleinen Einzelheiten dürfen die Bewegungsvorgänge abgeändert sein. Vor allen Dingen muß eine Figur, die sich beispielsweise in zehn aufeinanderfolgenden Bildern nicht bewegt, da sie als unbeteiligter Zuschauer dabeisteht, auf jedem einzelnen Bild bis auf Bruchteile eines Millimeters genau an der gleichen Stelle gezeichnet werden wie auf allen vorangehenden Einzelbildern.
Ein wenig allerdings kann man allerdings unter bestimmten Voraussetzungen dieses mühselige Verfahren erleichtern. Und damit ergibt sich eine gewisse Verwandtschaft mit dem Silhouettenfilm. Solange die auszuführende Bewegung in der Richtung des Filmbildes bleibt, das heißt, entweder von oben nach unten oder von links nach rechts oder umgekehrt erfolgt, ist es nicht nötig, für jedes Bild eine neue Vorlage herzustellen.
In solchen Fällen schneidet man die Figur aus und versieht sie mit beweglichen Gliedern, die man dann von Bild zu Bild genau nach der vorher angestellten Berechnung an Millimeter verschiebt. In allen anderen Fällen aber müssen hunderte und aber hunderte einzelner kleiner Änderungen vorgenommen werden, ehe das nächste Bildchen photographiert werden kann. Einer der beliebtesten und technisch weitaus am besten gelungene Trickfilme ist der Ufa-Trickfilm „Das Märchen vom Hasen und Swinegel“, von dem wir einige Bilder bringen.
Derartige Filme sind nicht nur sehr mühsam herzustellen, sie kosten auch viel Geld. Wer einen Trickfilm anfertigt, muss nach zwei Richtungen begabt sein. Er muß mathematisches Verständnis haben und ein Künstler sein. Künstler, die für Mathematik begabt sind, oder umgekehrt, ein Mathematiker, der zugleich Künstler ist, sind selten. Künstler, die solche Arbeit leisten können, werden hoch bezahlt. Man suchte deshalb nach Möglichkeiten, auch solche Trickfilme zustande zu bringen, die verblüffend wirken, aber nicht mit so hohen Kosten verknüpft sind. Wie man dies erreichte, darüber soll später berichtet werden.