Dieser Artikel ist eine wörtliche, unverfälschte Transkription des Originalartikels aus dem Jahre 1926.

Aus heutiger Sicht fragwürdige Ausdrucksweisen und Inhalte, sowie variierende Rechtschreibung sind nicht ausgeschlossen, wurden aber zwecks Authentizität nicht zensiert.


Das Tanagratheater als moderne Schaufensterreklame

Von Friedrich Katena / mit 4 Bildern / 1926

Wenn uns der Weg durch die Geschäftsstraßen einer großen Stadt führt, werfen wir wohl ab und zu einen Blick in die Schaufenster, um die Auslagen zu betrachten. Vor einem der Geschäfte bleibt die Menge stehen. Was mag die Leute so fesseln? Zunächst sieht man nichts als einen in Augenhöhe im Hintergrund des Fensters angebrachten Bilderrahmen. Da, auf einmal flammt in diesem Rahmen das elektrische Licht auf, und wir sehen einen Innenraum, so klein, wie er auf einer winzigen Miniaturbühne erscheinen könnte. Und in diesem Raume bewegen sich Mädchengestalten, die je nach der Branche des Geschäfts Verkasufsgegenstände vorführen. Sei es ein Konfektionsgeschäft, ein Zigarettenladen, ein Geschäft für Haushaltsartikel, immer wird sich eine Möglichkeit finden, die in lockender Form auf dieser „Bühne“ den Artikel des Geschäftes dem Publikum anziehend zu machen sucht.

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Am meisten setzt dieser Reklame die naturgetreue Wiedergabe in dem nur etwa dreißig Zentimeter im Quadrat großen Rahmen in Erstauenen. Die kleinste Einzelheit, jede Farbe, jeder Gesichtsausdruck erweckt dem Beschauer den Eindruck, als ob er die vorführenden Personen zu Greifen nahe, lebendig vor sich sehe. Fast jeder kommt wohl zunächst auf den naheliegenden Gedanken, daß hier ein Film in natürlichen Farben sich vor seinen Augen abrolle. Bald aber erweist sich die Annahme als falsch; denn die Vorführenden treten mit dem Publikum durch Winken und Grüßen in Verbindung. Aber die wenigsten finden des Rätsels Lösung, und für die meisten Zuschauer bleibt diese Reklame deshalb dauernd anziehend.

 

Diese Art der Reklame ist allerdings nicht neu. Aber es gibt eben Dinge, die immer wiederkehren. Wohl sind diese jene Änderungen in der Form da, im Äußeren; das Gewand geht mit der Mode mit unist ihrem Wechseln unterworfen, aber das Wesentliche bleibt unverändert. Wer vor mehr als zwanzig Jahren die Räume des wissenschaftlichen Instituts „Urania“ in Berlin besuchte, traf dort eine Säule, auf der die weiße Gipsfigur einer Knabengestalt in wunderbarer Schärfe und Plastik zu sehen war. Trat man näher, so verschwand die Figur, und nur der leere Sockel der Säule stand vor dem Beschauer. Die Figur war also gar kein wirklich vorhandener Gegenstand, sondern nur eine Spiegelung, die durch einen an der Wand angebrachten Hohlspiegel auf die Säule projiziert wurde. Die wirkliche Gipsfigur hing versteckt, it dem Kopfe nach unten, hinter der Säule.


Bald begnügte man sich nicht mehr damit, nur Figuren zu diesen Darbietungen zu verwenden, sondern man benutzte auch lebende Menschen für diese Zwecke. Mancher von uns Älteren wird sich gewiss noch der Aufführungen entsinnen, die in Tastans (?) Panoptikum und von besseren Zauberkünstlern auf Jahrmärkten und Messen geboten wurden. Der Vorhang ging auf, und vor der Fläche einer Unendlichkeit schwebte fast greifbar eine Gestalt auf einer Kugel empor bis zu einer gewissen Höhe. Dann bewegte sich die Figur, verlangend und abwehrend. Hin und wieder gab sie auch mit dem Fuß der Kugel einen Stoß, die darauf einen Augenblick versank, um dann bald wieder von den Sohlen der schönen Frauengestalt berührt zu werden. Solche und manche ähnliche Darbietungen gehörten schon vor Jahrzehnten zum „eisernen Bestand“ der Magier und Zauberer. Allmählich gerieten sie schließlich in Vergessenheit, um nun jetzt wieder als etwas Neues, diesmal auf dem Gebiet der Reklame, zu erscheinen.

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Wie kommen die Vorführungen zustande? --- In den ältesten Formen, als man leblose Dinge als Objekte benutzte, brauchte man nur einen Hohlspiegel. Der Hohlspiegel wirft nämlich von allen Figuren, die in seinem Brennpunkt aufgestellt werden, ein verkehrtes, also auf dem Kopf stehendes Spiegelbild zurück. Um jedoch ein aufrechtstehendes Bild zu erhalten, muß man das Objekt auf den Kopf im Brennpunkt des Spiegels aufstellen. Das geht mit leblosen Dingen recht gut, aber mit Lebewesen nicht. Hier mußte also ein Mittel erdacht werden, um von lebenden Menschen ein verkehrtes Bild in den Brennpunkt des Hohlspiegels zu werfen, das von diesem dann wieder umgekehrt projiziert werden konnte.

Ein solches Mittel ergab sich durch die Anwendung zweier ebener Spiegel. Diese werden in einem bestimmten Winkel zueinander aufgestellt und werfen jetzt das Spiegelbild, der seinerseits nun ein aufrechtstehendes verkleinertes und scheinbar in der Luft schwebendes Bild projiziert.

Damit war das sogenannte Tanagratheater erfunden. Der Name Tanagra wurde deshalb gewählt, weil die Menschen so klein erscheinen wie die berühmten antiken Figuren, die in der Nähe der griechischen Stadt Tanagra ausgegraben wurden und nach dieser den Namen Tanagrafiguren erhielten.

In neuester Zeit verwendet man das Tanagratheater nicht nur zur Schaufensterreklame, sondern man macht es auch für Filmaufnahmen nutzbar, um in vielen Fällen die sonst notwendigen Kolossalbauten zu sparen. Auf der Miniaturbühne werden die für die Filmaufnahme erforderlichen Gebäude , im kleinen Maßstabe modelliert, aufgestellt und zusammen mit den durch die ebenen und Hohlspiegel projizierten Darstellern gekurbelt.


Bibliothek der unterhaltung und des Wissens Jahrgang 1926 / Band 12 / Seite 193