Dieser Artikel ist eine wörtliche, unverfälschte Transkription des Originalartikels aus dem Jahre 1922.

Aus heutiger Sicht fragwürdige Ausdrucksweisen und Inhalte, sowie variierende Rechtschreibung sind nicht ausgeschlossen, wurden aber zwecks Authentizität nicht zensiert.


Das Neueste aus dem Gebiete der Elektrotechnik

Von Professor Dr. Theobald Meinhard / mit 13 Bildern / 1922

In der letzten Zeit sind durch die Presse wieder eine Anzahl Nachrichten gegangen, die durch ihre Fassung geeignet erschienen, allerlei irrige Meinungen und unbegründete Hoffnungen aufkommen zu lassen. Der Elektromagnet, eines der Grundelemente der Elektrotechnik, sollte "entthront" sein und künftig durch beliebige Steine ersetzt werden können; die jüngsten Verbesserungen in der Apparatur der drahtlosen Telephonie sollen die Möglichkeit nahe rücken, daß man nur einen kleinen Taschenapparat einzustellen brauchte, um ohne Vermittlung von Leitungen und Ämtern irgend einen Freund auf weiten Erdenrund zu einem Gespräch anzurufen, und ähnliches mehr. Wie steht es nun um diese Dinge wirklich?

Nehmen wir zuerst den "entthronten Elektromagneten" vor. Die Aufgaben, die er in der Elektrotechnik vor allem zu erfüllen hat, sind von zweierlei Art. Wir wissen aus der Schule, daß er, sobald ein elektrischer Strom durch die ihn umgebende Drahtspule fließt, die Eigenschaft erhält, in der Nähe befindliche Eisenteile anzuziehen und nach dem Aufhören des Stromes wieder loszulassen. Sodann werden, wenn man andere Magneten oder Drahtspulen ihm nähert oder wieder von ihm entfernt, die ihn umgebenden "elektrischen Kraftlinien" gestört und dadurch in ihm selbst wie in den genäherten, bezihentlich entfernten Metallteilen sogenannte Induktionsströme hervorgerufen. Auf dieser letzterwähnten Tatsache beruht unsere gesamte Starkstromtechnik, und es besteht bisher noch nicht die geringste Aussicht, daß ihm in dieser ungemein wichtigen Stellung ein Nebenbuhler von nur einigermaßen nennenswertem Belang erwachsen könnte.

Diese seine Rolle als Energieumwandler wäre erst bedroht und dann wahrscheinlich auch sehr rasch ausgespielt, wenn es einmal gelänge, die chemische Atomzersetzung (Radium und verwandte Elemente) zur Krafterzeugung auszunützen. Aber in dieser Hinsicht stehen wir noch so sehr in den Anfängen der theoretischen Erkenntnis, daß sie vorläufig nicht die kleinsten praktische Hoffnungen erlauben.

Dagegen ist in der letzten Zeit eine elektromagnetische Erscheinung näher erforscht und auch praktisch umgesetzt worden, die tatsächlich berufen erscheint, die elektromagnetische Anziehung aus weiten Gebieten der von ihr bisher ebenfalls allein beherrschten Schwachstromtechnik zu verdrängen. Hier war der Elektromagnet von jeher in gewissem Sinne ein Schmerzenskind infolge zweier sehr fühlbarer Mängel, die ihm anhaften. Er wird von dem ihn umfließenden Strom erhitzt, und er verliert seine Anziehungskraft weder ganz noch sofort in dem Augenblick der Stromunterbrechung. Es bedurfte vielfach des größten Scharfsinnes der Erfinder, um die daraus sich ergebenen Störungen im Schwachstrombetrieb (wie auch in den Dynamomaschinen und Umformern) zu beheben. Von beiden Mängeln ist die von den beiden dänischen Ingenieuren Alfred Johnsen und Knud Rahbeck im Jahre 1917 entdeckte elektrische Abhäsion (Klebkraft) vollkommen frei.

Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens Heidi Fial Archiv schematische Darstellung Elektrotechnik 1922

Der Grundversuch ist auf Abb. 1 schematisch dargestellt. Eine beiderseits geschliffene, 1 bis 2 Zentimeter dicke Platte S aus Stein (Lithographenschiefer, Achat und andere) ist auf der Unterseite mit einem Staniolbelag B versehen. Oben auf ihr liegt eine Metallplatte P mit einem Haken oder Handgriff H zum Tragen. Von den Endpolen einer Stromquelle Ba (Batterie, Dynamo) führen Drahtleitungen (a,b) über Widerstände W1 und W2 zu B und P. Obwohl nun S ein sogenannter Nichtleiter ist, fließt doch durch die Gesamtleitung ein geringer Strom, der hinreicht, daß S an P mit großer Kraft haftet, gleichsam angeklebt ist. Der Strom einer gewöhnlichen Tischlampe reicht aus, mit P eine Steinplatte von 1500 Kilogramm Gewicht zu heben. Wird aber die Leitung an einer Stelle, zum Beispiel bei Z unterbrochen, so fällt die Steinplatte S augenblicklich von P ab. Auch ist, während der Strom fließt, nicht die mindeste Erhitzung weder in S noch in P oder B zu bemerken.

Die von Johnsen und Rahbeck auf ihre Entdeckung genommenen Patente wurden von der Firma Erich F. Huth, Gesellschaft für Funkentelegraphie in Berlin, erworben und in stiller, emsiger Laboratoriumsarbeit durch eine Anzahl sehr beachtenswerter Apparate der praktischen Verwendbarkeit zugeführt. Einige haben bereits mit bestem Erfolg im technischen Betrieb Aufnahme gefunden, so der elektrische Schnellschreiber, das lautsprechende Telephon und das huthsche Anrufrelais; andere, wie Schußgeschwindigkeitsmesser, Grammophone und elektrische Schreibmaschinen, gehen ihrer Vollendung entgegen. Ihr Vorteil liegt einmal darin, daß infolge der Verwendung von Stein statt Eisen der erwähnte remanente Magnetismus keine Störungen mehr verursachen kann, zum anderen in der Möglichkeit, mit sehr schwachen Strömen auszukommen oder, was bei den jetzigen Rohstoffpreisen noch wichtiger ist, mit sehr dünnen Drahtleitungen. Genügt doch zum Beispiel beim elektrischen Schnellschreiber ein Strom von ein hunderttausendstel Ampere, um den Schreibhebel auszurücken, beim huthschen Anrufrelais gar ein millionstel Ampere.

Dieses Anrufrelais kann man etwa mit der elektrischen Alarmglocke an Türen, Telephonapparaten und so weiter vergleichen. Wir begegnen ihm aber vor allem auf dem gesamten Gebiete der Nachrichtenüermittlung, also der Telegraphie und Telephonie auf gewöhnlichen und Hochspannungsleitungen, der drahtlosen Telegraphie und Telephonie, der drahtlosen Fernschaltung. Da die huthsche Konstruktion schon auf so winzige Stromstöße anspricht, wird sie besonders den kleinen beweglichen Stationen, die nur über geringe elektrische Energie verfügen, wie auf Schiffen, bei Polarexpeditionen und dergleichen, erhebliche Vorteile bringen, denn sie ermöglicht ihnen, auf viel größere Entfernung als bisher zu verkehren, und erhebt sie außerdem der Notwendigkeit, ihre Empfangsstelle dauernd mit einem Telegraphisten besetzt zu halten. Auch können Schiffe in Seenot automatisch von drohenden Gefahren in Kenntnis gesetzt werden. Auf die Bedeutung des huthschen Relais für die Zugtelephonie kommen wir noch zu sprechen.

Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens Heidi Fial Archiv Schnellschreiber E. F. Huth
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Bei den Laboratorienversuchen hat sich nun gezeigt, daß man eine wesentlich stärkere elektrische Anziehung erreicht, wenn man statt ebener Steine solche in Walzenform verwendet. Ein solches Walzenrelais ist sozusagen die empfindende Seele des neuen elektrischen Schnellschreibers System Huth (Abb. 2 und 3), der mit Sicherheit bis zu zweitausend Morsezeichen in der Minute aufzeichnet. In Abb. 4 sehen wir es schamtisch dargestellt. Auf der Metallachse P, die zugleich als Stromzuführung dient, sitzt eine Walze S aus geschliffenem Achat. Auf einem Viertel ihrer Rundung schleift ein Metallband B, das einerseits an einer Feder f, andererseits an einem Schreibhebel F hängt. So oft nun ein Stromfluß von P durch S nach B geht, bleibt letzteres an der Walze haften und wird ein Stück mitgerissen. Dadurch rückt B den Schreibhebel F aus seiner Lage, der nun in Form von kurzen oder längeren Ausbuchtungen die Morsezeichen (Abb. 5) auf dem unter ihm weggleitenden Papierstreifen aufzeichnet. Dieser Steinschreiber ist sowohl für gewöhnliche wie für drahtlose Telegraphie benutzbar.

Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens Heidi Fial Archiv Schnellschreiber E. F. Huth
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In ganz ähnlicher Weise ist das Walzenrelais im neuen huthschen Lautsprecher (Abb. 6 und 7) verwendet. Wie aus Abb. 8 erkennbar ist, hängt hier das Metallband B mit dem einen Ende statt am Schreibhebel an einer Membran M, die über einem Resonanzkörper R in Form einer Mandoline befestigt ist. Die Stromänderungen, die im Aufnahmeapparat durch die menschliche Stimme oder durch Musiktöne hervorgerufen werden, bewirken auch hier wieder ein ruckweises Haftenbleiben und Freiwerden des Metallbandes. Dieses übermittelt die Bewegungen getreu an die Membran, die nun die Töne durch den Resonanzkörper vielfach verstärkt wiedergibt. Daß die Achatwalze durch einen besonderen Elektromotor gedreht werden muß, also Kraft verbraucht, fällt durchaus nicht ins Gewicht gegenüber der Tatsache, daß mehrere hundert Kilometer messende Entfernungen durch sehr geringe elektrische Energie in den Leitungen oder den drahtlosen Sendeapparaten überbrückt werden können.

Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens Heidi Fial Archiv Lautsprecher E. F. Huth
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Die Verwendbarkeit solcher Lautsprecher ist außerordentlich groß. Hier nur einige Beispiele: das Zusammenrufen der Abgeordneten aus den zahlreichen Räumen des Reichstagsgebäudes durch den Präsidenten, wenn eine wichtige Rede bevorsteht (Abb. 9); die Ankündigung abfahrender Züge von einer Zentralstelle aus, ohne daß ein Portier sich von früh bis spät in allen Wartesälen und Gängen heiser schreit (Abb. 10); die Ansage der nächsten Haltestellen und Umsteigstationen im fahrenden Zug (Abb. 11); die Übertragung eines Konzertes in sämtliche Säle und Einzelzimmer eines Großstadthotels (Abb. 12) und ähnliches mehr. Man hat sogar schon Konzerte auf drahtlosem Wege aus dem huthschen Verwaltungsgebäude in Berlin gleichzeitig nach Schweden, Borkum und Rotterdam übertragen, also über 800 Kilometer, wo sie tadellos gehört wurden.

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Als Kuriosum sei schließlich noch eine Varieténummer erwähnt, eine Geige, die in bestimmter Weise verändert ist. Sie wird wie eine gewöhnliche Geige mit einem Bogen gestrichen. Aber man hört nicht die bekannten Töne dieses Instrumentes, sondern ein ganzes Orchester läßt seine Weisen aus dem kleinen Holzgehäuse ertönen; ja, die Geige redet sogar mit menschlicher Stimme. Auch hier ist der Zauberer ein huthsches Walzenrelais.

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Noch eine wichtige Erfindung der jüngsten Zeit bleibt zu erwähnen, nämlich die Zugtelephonie, das heißt das Telephonieren aus dem fahrenden Zug mit irgendeinem Teilnehmer des deutschen Reichstelephonnetzes und umgekehrt. Ähnliche Versuche wurden schon vor zehn Jahren in England nach dem System eines Deutschen, Hans von Kramer, angestellt, doch blieben sie aus veraschiedenen Gründen in den Anfängen stecken, namentlich weil der drahtlosen Telephonie inzwischen in der Kathodenröhre (siehe „Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens“, Jahrgang 1920, Band 12, Seite 151, Drahtlose Telegraphie und Telephonie) ein Sender und Empfänger entstanden war, der alle früheren Behelfsmittel dieser Art in den Schatten stellte.

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Auch die Firma Huth hat Senderöhren von vorzüglicher Leistungsfähigkeit auf den Markt gebracht. Indem sie so lche mit ihren hoch empfindlichen Anrufrelais zusammenbaute, ist es ihr gelungen, auf dem Privatgleis der Firma Görz in Lichterfelde bei Berlin mit ihrer Einrichtung für Zugtelephonie sehr befriedigende Versuche vorzunehmen, die, als sich mehrere hohe Reichsbeamte persönlich von der Wichtigkeit und Güte der neuen Erfindung überzeugt hatten, planmäßig auf der Strecke Berlin – Hamburg fortgesetzt wurden. Zwei Wagen der dort laufenden Schnellzüge sind auf dem Dach mit Antennen (Abb. 13) für drahtlose Tonübermittlung versehen. Die Gespräche werden als elektrische Wellen von geringer Intensität, aber nicht zu kleiner Länge auf die neben den Gleisen her laufenden gewöhnlichen Telephon- oder Telegraphenleitungen übertragen, ohne daß der auf ihnen in Gang befindliche Frachtverkehr dadurch irgend eine Einbuße erleidet, so wenig wie die Treibkraft eines Wasserlaufes durch die Wellen, die ein hineingeworfener Stein dor erzeugt, oder die Treibkraft des Windes auf Windmühlen durch die Töne von Glocken, die er weiterträgt.

Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens Heidi Fial Archiv Zugetelephonie

So ist es möglich, daß man im fahrenden Schnellzug mit einem einige hundert Kilometer entfernten Freunde genau so zuverlässig und ungestört sich telephonisch verständigen kann, wie wenn man daheim an seinem Schreibtisch säße. Wie von Eingeweihten versichert wird, soll diese wertvolle Einrichtung schon bald der allgemeinen Benützung übergeben werden.

Es darf jedoch nicht versäumt werden, die Grenze zu betonen, die nach dem heutigen Stande der Technik der drahtlosen Telephonie gezogen ist und wenig Aussicht bietet, daß man sie in näherer Zeit überschreitet. Diese Grenze ist die Unmöglichkeit, drahtlose Telephongespräche bei der Übermittlung geheim zu halten. Die „gerichtete“, das heißt genau nach einer vorauszubestimmenden Stelle wirkende drahtlose Telephonie dürfte, wenn überhaupt, so erst nach vielen Jahren zähester Forscher- und Erfinderarbeit möglich werden, und selbst dann werden die in derselben Richtung liegenden Zwischenstationen immer noch die Gespräche mithören können, denn die elektrischen Wellen breiten sich nach allen Seiten gleichmäßig aus.

Für den Geschäftsmann ist aber die Geheimhaltung seiner Mitteilungen in vielen Fällen genau so wichtig wie für die Kriegsführung. Also wird für diese beiden wichtigen Benützer des Telephons der bisher übliche Drahtverkehr in absehbarer Zeit nicht durch den drahtlosen ersetzt werden können. Wozu sich letzter dagegen vorzüglich eignet, das sind sogenannte Rundnachrichten, also allgemeine Mitteilungen der Regierung oder Korrespondbüros an die Zeitungen, fernen Zeitsignale, Wetternachrichten, der Verkehr von Schiff zu Schiff und mit dem Festland, die Verbindung mit Forschungsexpeditionen in abgelegenen Erdgegenden, Hilferufe in Seenot, Meldungen der Ergebnisse von Sportveranstaltungen an interessierte Kreise und vieles andere mehr.

Mit dem eingangs erwähnten Taschenapparat, der gestattet, zu beliebiger Stunde von Berlin einen Freund hoch oben in den Anden oder am Tanganjiakasee anzurufen und mit ihm vertraulich über wichtige gemeinsame Pläne zu plaudern, ist es demnach vorläufig noch nichts. Das hindert indes nicht, den beschriebenen neuesten Leistungen unserer deutschen Elektrotechnik alle Anerkennung zu zollen. Sie sind doppelt verdienstlich gerade in der jetzigen Zeit, da sie wertvolle Aufträge aus dem Ausland und damit neue Arbeit für fleißige deutsche Hände bringen.


Bibliothek der unterhaltung und des Wissens Jahrgang 1922 / Band 9 / Seite 146